Psychoonkologie: Krankheitsverarbeitung bei Brustkrebs


Die moderne Psychoonkologie beschäftigt sich vorwiegend damit, welche seelischen Auswirkungen körperliche Krankheiten haben. Außerdem geht es bei der Psychoonkologie darum, wie wir eine hilfreiche Krankheitsbewältigung erreichen können. Das Behandlungsziel ist die bestmögliche Förderung der Lebensqualität, was auch durch die Zusammenarbeit aller Berufsgruppen eines Brustzentrums erreicht werden soll.

Bei der onkologischen Behandlung des Brustkrebses können einige Medikamente zudem starke psychische Nebenwirkungen (vorwiegend Stimmungsschwankungen und Depressionen) haben. Diese Nebenwirkungen gilt es von Ängsten und Sorgen, die direkt auf die Krankheitserfahrungen zurückgehen, zu unterscheiden. Gleichzeitig wollen wir einen gesünderen Lebensstil der Frauen unterstützen, indem wir versuchen, verhaltensbedingte Risiken (zum Beispiel Tabak- und Alkoholmissbrauch, schlechte Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht und Stress) zu mindern.

Zusammenhang zwischen psychischen Belastungen und Brustkrebs

In den 1980er Jahren hat man Brustkrebspatientinnen im Rahmen einer Heidelberger Studie des Psychosomatikers Hans Becker nach ihren eigenen Theorien zur Krankheitsentstehung befragt. Fast 60 Prozent der befragten Frauen gaben als Ursache ihrer Krankheit eine psychische Belastung an. Und 30 Prozent dieser Frauen verbanden ihre Krankheit mit Vorstellungen von Schuld und Strafe. Auch heute noch kommen viele Frauen mit solchen quälenden Vorstellungen in eine psychoonkologische Beratung. Doch diesen Laientheorien fehlt jegliche seriöse wissenschaftliche Bestätigung.

Für Patientinnen ist es jedoch wichtig zu verstehen, dass unsere Erinnerung sehr stimmungsabhängig reagiert. Befinden wir uns in einer sehr angstvollen oder verzweifelten Stimmung, werden viele Gedächtnisinhalte aus der Vergangenheit aktiviert, die mit einer solchen Stimmung verbunden waren. Die meisten Frauen kennen dieses Phänomen als ein unerträgliches Grübeln, das bald nach der Diagnosestellung einsetzt. Meist tritt es nachts oder in der Klinik auf, wenn sie durch keine anderen Aktivitäten abgelenkt sind. „Warum ich? Warum jetzt? Was habe ich falsch gemacht?“ Dies ist ein ganz verständlicher Versuch der Betroffenen, wieder Kontrolle in eine als unkontrollierbar erlebte Situation zu bringen. Dies kann aber auch dazu führen, dass man glaubt, alte oder auch neuere belastende Erinnerungen stehen mit der Krebsentstehung in einem nachweisbaren Zusammenhang.

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Phasen der Krankheitsverarbeitung bei Brustkrebs

Zum Verständnis der Krankheitsverarbeitung bei Brustkrebs ist es sinnvoll, von einem Modell verschiedener Krankheitsphasen auszugehen. Dieses Modell findet im Bereich der Psychoonkologie häufig Anwendung und soll im Folgenden ausführlich beschrieben werden. Der Trauerprozess, der häufig nach der Diagnosestellung einer lebensgefährlichen Erkrankung beginnt, setzt sich aus mehreren Phasen zusammen. Diese Phasen lassen sich jeweils durch bestimmte emotionale Zustände beschreiben. Eine Patientin durchläuft diese Phasen aber nicht zwingend in der dargestellten Reihenfolge.

Schockphase

Nahezu alle Patientinnen erleben zu Beginn eine Schockphase. Bekommt eine Frau die Diagnose „Brustkrebs“ übermittelt, gerät sie häufig in einen Schockzustand. Sie fühlt sich wie betäubt, verliert ihr Realitätsgefühl, fühlt sich „wie im falschen Film“ und zweifelt unter Umständen an der Richtigkeit der Diagnose. Gleichzeitig oder auch kurz danach kann es zu heftigen Gefühlsausbrüchen kommen, die die Patientin als peinlich und unangemessen erlebt. Dies ist der Beginn eines Trauerprozesses, den nahezu jeder Mensch nach einem schweren Verlust durchläuft. Im Fall einer Brustkrebsdiagnose sind das in der Regel der Verlust der körperlichen Unversehrtheit und die Angst vor dem Verlust von Aktivitäten im beruflichen, sozialen und familiären Leben.

verzweifelte Frau
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Protestphase

Nach der Schockphase kann eine Phase beginnen, die von Protest und innerer Auflehnung geprägt ist: die Protestphase. Die Patientin ist regelrecht getrieben von einer nervösen Rastlosigkeit. Diese äußert sich häufig darin, dass sie noch weitere Ärzte aufsucht, mit dem meist unbewussten Wunsch, dass sich die schlimme Diagnose als Irrtum herausstellt. Gleichzeitig bemerken viele betroffene Frauen eine psychische Labilität, die sie aus der Zeit vor der Diagnosestellung nicht von sich kennen. Hierz gehören plötzliche Wein- und Angstattacken, die mit einem starken Schamgefühl einhergehen können. Aber auch Ärgergefühle und Klagen, bei denen manchmal Ärzte und Pflegende, aber auch Angehörige eine „Blitzableiterfunktion“ haben können, sind möglich. Hierbei geht es nicht um berechtigte Beschwerden, sondern um einen Zustand der Gereiztheit, der häufig aus einer tiefen Angst entsteht, innerlich kaum auszuhalten ist und sich dann unkontrolliert entladen kann.

Phase der Anerkennung der Erkrankung

Ist die Diagnose als Realität akzeptiert, beginnt die Verzweiflung über den möglichen Verlust einer intakten Weiblichkeit, vielleicht sogar über den Verlust einer oder möglicherweise beider Brüste. Die meisten Frauen fürchten sich auch vor dem plötzlichen Beginn der Wechseljahre durch die notwendigen Therapien und haben Angst vor einem vorzeitigen Alterungsprozess. Jüngere Frauen sehen sich mit einem möglicherweise drohenden Abschied von einem vielleicht noch bestehenden Kinderwunsch und ihren reproduktiven Fähigkeiten konfrontiert. Frauen in unglücklichen Beziehungen gehen davon aus, dass sie nun verlassen werden. Alleinstehende Frauen können sich aufgrund der körperlichen Veränderungen, die auf sie zukommen, häufig kaum vorstellen, noch einmal einen neuen Partner zu finden.

In dieser Phase taucht häufig die Frage nach der eigenen Schuld oder der Schuld von anderen an der Erkrankung auf. Das Erleben der eigenen Hilflosigkeit führt dann zu einer Suche nach Erklärungen für das Unerklärliche. Die Psychologisierung der Erkrankung scheint einen Ausweg aus dem Gefühl des Kontrollverlustes zu bieten – jedoch zu einem hohen Preis: Die Krankheit wird zum Symbol für persönliches Versagen oder für das Versagen wichtiger Menschen. Hier kann von Seite der Psychoonkologie aus nicht oft genug betont werden, dass es bisher keine wissenschaftlich überzeugenden Untersuchungen über eine psychologische Verursachung von Krebserkrankungen gibt. Es gibt auch nur wenige Studien, die zeigen konnten, dass eine psychotherapeutische Behandlung die Überlebenszeit verlängern kann. Überzeugend nachgewiesen ist jedoch die Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen durch eine Betreuung im Rahmen der Psychoonkologie. Und das ist auch das vorrangige Ziel, das wir in unserer Psychoonkologie-Sprechstunde verfolgen.

Phase der Auflösung der Krankheitskrise

Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die medizinische Behandlungsphase abgeschlossen ist und die Krankheit mit ihren Konsequenzen für die weitere Zukunft akzeptiert werden kann. Manchmal wird sie sogar als Chance gesehen, längst fällige Veränderungen einzuleiten. Die Frage nach dem „Warum der Erkrankung“ wird im besten Fall durch die Frage nach dem „Wozu“ abgelöst. Häufig kann dann eine neue Ernsthaftigkeit gegenüber dem eigenen Leben wertgeschätzt werden. Die Anschlussheilbehandlungen (Kuren) nach Abschluss der Akutbehandlung geben den Patientinnen – neben der körperlichen und seelischen Erholung – häufig viele Impulse zu einer gesünderen und intensiveren Lebensgestaltung.

Frau mit Brustkrebs
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Trauerphasen als normale psychische Reaktion

Das Durchlaufen dieser Trauerphasen gehört zu den normalen psychischen Reaktionen auf diese durch eine schwerwiegende Erkrankung hervorgerufene persönliche Krise. Leider können heutzutage viele Menschen solche Gefühle weder bei sich noch bei anderen ausreichend tolerieren. Es wird nach schnellen Lösungen gesucht, die wieder den „Normalzustand“ und die psychische Stabilität herstellen sollen. In der psychoonkologischen Beratung geht es dann darum, eine Akzeptanz der Gefühle der Angst und Verzweiflung zu erreichen. Denn eine Unterdrückung solcher Gefühle kann langfristig eine adäquate Verarbeitung der Krise behindern. Manche Frauen bleiben sonst in ihrer Trauerverarbeitung stecken und werden von starken Rezidivängsten heimgesucht, die im schlimmsten Fall sogar dazu führen können, dass Termine zu Nachsorgeuntersuchungen nicht eingehalten werden.

Manchmal führen aber auch die antihormonellen Behandlungen zu medikamentös bedingten Depressionen, die einer fachärztlichen Behandlung bedürfen und nichts mit einer unzureichenden Krankheitsverarbeitung zu tun haben.

Behandlungsängste und Ängste vor körperlichen Veränderungen

Durch die Brustkrebsoperation kann sich das eigene Körperbild verändern. Manche Frauen fühlen sich „verstümmelt“ und nicht mehr als vollwertige Frau (selbst wenn das Operationsergebnis sehr gut ausfällt). Stellen die Eierstöcke nach der Chemotherapie ihre Hormonproduktion ein und/oder muss eine Hormontherapie begonnen werden, können plötzlich starke Wechseljahresbeschwerden auftreten, die neben den zahlreichen körperlichen Symptomen (Hitzewallungen, Schlafstörungen, Blasenprobleme, Scheidentrockenheit) auch zu einer seelischen Labilisierung (Depressionen, aber auch starke Gereiztheit) führen können.

Nach der Diagnosestellung treten sexuelle Wünsche – auch beim Partner – meist in den Hintergrund. Die körperlichen Veränderungen der Frau können dann aber zu starken Verunsicherungen und Ängsten bezüglich der gemeinsamen Sexualität führen. Wichtig ist, dass zuerst die betroffene Frau wieder in einen guten Kontakt zu ihrem Körper kommt. Dies beginnt mit einer achtsamen Narbenpflege und der vorsichtigen Durchführung empfohlener physiotherapeutischer Übungen. In unserer Klinik führen wir zu diesem Zweck auch Entspannungsübungen und musiktherapeutische Behandlungen durch.

Paar auf dem Bett
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Ein intensiver und offener Austausch mit dem Partner über Befürchtungen vor und Wünsche nach körperlicher Nähe und Zärtlichkeit helfen, einen neuen Zugang zur gemeinsamen Sexualität zu finden. Zurückhaltung aufseiten der Männer hat meist mehr mit deren Ängsten, ihrer Frau „weh zu tun“ oder sie ungewollt zu bedrängen, denn mit einer Abneigung gegen den veränderten Körper zu tun. Denken Sie daran, dass ältere Frauen und Männer nach den gängigen Schönheitskriterien zwar regelhaft an körperlicher Attraktivität verlieren. Trotzdem erleben viele ältere Paare aber miteinander eine sehr befriedigende und manchmal sogar bessere Sexualität als in jüngeren Jahren.

Bewältigung der psychischen Belastungen

Wir wissen, dass etwa 60 bis 70 Prozent aller Brustkrebspatientinnen die Krankheitserfahrung ohne schwerwiegende psychische Beeinträchtigungen überstehen. Das heißt, die auftretenden emotionalen Krisen können mit Hilfe der behandelnden Ärzte sowie mit dem Pflegepersonal, der Sozialarbeiterin, den Freunden und der Familie im Rahmen der Psychoonkologie bewältigt werden.

Offene Kommunikation mit Ärzten, Familie, Freunden und Partner

Damit dies gelingt, müssen Sie lernen, offen über Ihre Sorgen und Ängste zu sprechen. Sie müssen aber auch akzeptieren können, dass ihr Gegenüber nicht immer über die notwendige Zeit verfügt. Beim medizinischen Personal wird dessen begrenzte Kapazität meist akzeptiert. Das Gleiche gilt jedoch leider häufig nicht für Angehörige und Freunde. Das bedeutet nicht, dass Sie sich mit Ihren Sorgen zurückhalten sollen, sondern neue Kommunikationsangebote ausprobieren müssen, z.B.:

  • zum Arzt: „Ich merke, Dr. X, dass Sie heute nicht so viel Zeit haben. Können wir einen Termin ausmachen, bei dem ich meine Fragen stellen kann, oder gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass ich Sie noch mal anrufe?“
  • zum Partner: „Ich kann verstehen, dass du im Moment viel um die Ohren hast und abends deine Ruhe haben willst, aber ich würde mir wünschen, dass wir einen Termin in der Woche finden, bei dem wir über meine aktuelle Krankheitssituation und ihre Folgen miteinander sprechen können.“

Einholen umfassender Informationen über die Erkrankung

Insgesamt ist es hilfreich, sich möglichst umfassend über die Erkrankung und die persönliche Bruskrebs-Prognose zu informieren. Mangelnde Informationen führen meist zu unnötigen Ängsten. Trotzdem können Sie sich natürlich auch dazu entscheiden, neben dem Arztgespräch keine zusätzlichen Informationen einzuholen, weil Sie Ihren behandelnden Ärzten vertrauen und sich nicht durch zusätzliche Ratgeber möglicherweise verwirren lassen wollen. Falls Sie sich Patientenratgeber zulegen, achten Sie bitte darauf, ob Sie die Lektüre belastet. Falls ja, legen Sie die Bücher erst einmal weg, und nehmen Sie sie erst dann wieder zur Hand, wenn es Ihnen besser geht.

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Körperliche Bewegung und Entspannungsmethoden

Bewegung an der frischen Luft hat eine nachgewiesenermaßen antidepressive Wirkung. Dabei ist es wichtig, eine gute Balance zwischen körperlichem Training und notwendigem Ruhebedürfnis zu finden.

Körperliche und seelische Entspannungsmethoden verbessern Ihr Wohlbefinden, gerade in körperlich sehr anstrengenden Zeiten. Überlegen Sie, was Ihnen vor Ihrer Erkrankung gut getan hat, und versuchen Sie bewusst, solche Aktivitäten regelmäßig durchzuführen. Das können sehr einfache Aktivitäten sein wie sich an den Lieblingsplatz im Garten setzen, spazieren gehen oder einfach Musik hören, die der aktuellen Stimmung entspricht oder von der man weiß, dass sie die Stimmung aufhellt.

Während der Anschlussheilbehandlung oder danach können Sie mit verschiedenen Entspannungsverfahren experimentieren, um das für Sie persönlich Richtige zu finden, um für die Zukunft über ein besseres Stressmanagement zu verfügen. Bewährt haben sich Tai Chi, Qi Gong, Yoga und Meditation, aber auch Visualisierungsübungen (zum Beispiel nach Simonton). Natürlich sind solche Verfahren auch während der Behandlungszeit höchst sinnvoll. Sie sollten jedoch darauf achten, sich neben den regulären Behandlungsterminen nicht mit zu vielen zusätzlichen Terminen zu belasten. Außerdem kann es sein, dass Sie zum Beispiel während der Chemotherapie zu weiteren Terminen körperlich gar nicht in der Lage sind.

Einzel-, Paar- und Familiengespräche

An unserer Klinik bietet eine qualifizierte Psychoonkologin Einzel-, Paar- und Familiengespräche im gesamten Verlauf der Erkrankung an. Dies reicht von der Hilfestellung bei der Verarbeitung der Diagnose und der oft sehr belastenden Behandlung bis zur Sterbebegleitung. Jede Patientin kann ein orientierendes Gespräch in Anspruch nehmen, um zu klären, ob eine weiterführende psychologischpsychotherapeutische Betreuung notwendig ist. Falls ja, besprechen wir mit der Patientin, ob eine Weitervermittlung in eine ambulante psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung sinnvoll ist oder ob sie eine behandlungsbegleitende psychoonkologische Betreuung an unserer Klinik wünscht.

Jede ersterkrankte Patientin hat die Möglichkeit, 10 Gespräche zu vereinbaren. In der Regel bemühen wir uns, dass die Termine mit onkologischen Behandlungsterminen zusammenfallen, damit die Patientin keinen zusätzlichen Aufwand durch die Gespräche hat. Im individuellen Fall wird geklärt, in welchem zeitlichen Abstand die Gespräche stattfinden werden und ob es eventuell sinnvoll ist, dass der Partner oder andere Angehörige an dem Gespräch teilnehmen.

Ziele unserer psychoonkologischen Betreuung sind immer die Entlastung und die Stabilisierung der Patientin und ihrer Angehörigen. Das heißt, es geht um ein unterstützendes Vorgehen und nicht darum, konfliktorientierte Gespräche zu führen, die dann zu einer zusätzlichen Belastung werden können. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel bei bereits lange vorhandenen Ehekonflikten nicht in einer Situation von seelischer und körperlicher Schwäche versucht werden sollte, diese Probleme zu lösen, sondern die Empfehlung geht in der Regel dahin, damit zu warten, bis sich die Patientin wieder in einem seelisch stabilen Zustand befindet.

Gruppentherapien

Darüber hinaus finden regelmäßig Gruppentherapien zur Stress- und Krankheitsbewältigung statt. Ziel dieses Gruppenangebots ist es, mithilfe von speziellen Entspannungsübungen wieder Vertrauen zum eigenen Körper zu fassen und einen achtsameren Umgang mit sich selbst einzuüben. Auch das Gruppengespräch hat meist eine entlastende Wirkung, weil die Patientinnen das Gefühl haben, dass andere Betroffene besser nachempfinden können, wie es ihnen geht, und nicht versuchen, mit gut gemeinten Ratschlägen ihre eigene Hilflosigkeit zu überspielen.

Rolle der Familie und der Freunde

In den letzten Jahren hat sich die Psychoonkologie-Forschung zunehmend mit der Bedeutung der sozialen Unterstützung für die Krankheitsbewältigung beschäftigt. Es konnte gezeigt werden, dass krebskranke Frauen mit einem umfangreichen sozialen Netzwerk weniger an Depressionen leiden. Unterstützung durch die Familie und Freunde kann das Wohlbefinden durch die Erfahrung von Zuneigung und Wertschätzung fördern und erleichtert die Bewältigung der durch den Krebs und seine Therapie ausgelösten Belastungen. Die Familienmitglieder sind jedoch nicht nur in ihrer Funktion als Unterstützer der Patientin zu betrachten. Wie zahlreiche Untersuchungen zeigen konnten, sind sie selbst durch die Krankheitssituation außergewöhnlich belastet.

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Auswirkungen auf die Kinder von Brustkrebspatientinnen

Die meisten Familien haben eine große Scheu, ihre Kinder in eine psychoonkologische Betreuung einzubeziehen, und zwar aus Angst vor einer zusätzlichen Labilisierung durch die Gespräche. Daher kommt der Elternberatung eine größere Bedeutung zu als den Familiengesprächen, an denen die Kinder direkt beteiligt sind. Eine wichtige Information für die Eltern kann sein, dass vor allem bei der Erstdiagnosestellung überraschend wenig Kinder durch die Erkrankung der Mutter belastet wirken. Kinder gehen im Gegenteil häufig sogar auffällig sorglos damit um und wollen möglichst schnell in ihren Alltag zurück.

Es ist wichtig, immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Kinder zu haben. Es ist aber auch wichtig zu akzeptieren, wenn sie kein besonderes Interesse an fortgesetzten Gesprächen über die Erkrankung haben. Viele Kinder flüchten sich regelrecht „raus ins Leben“, letztendlich aber auch, weil sie häufig in der aktuellen Situation mit der Verarbeitung der Erkrankung ihrer Mutter überfordert sind. Manchmal können sie dies zu einem späteren Zeitpunkt nachholen, wenn es ihre Weiterentwicklung als Erwachsene behindern sollte.

Was die langfristige Verarbeitung der mütterlichen Erkrankung angeht, gilt: Je jünger die Kinder sind, desto größer können deren Belastungen sein. Und desto anfälliger sind sie für körperliche Störungen, psychische Auffälligkeiten und Schulprobleme. Manchmal kommt es vor, dass sie sich an der Erkrankung ihrer Mutter schuldig fühlen. Auch können sie durch den Verlust der Fürsorge oft beider Eltern bekümmert sein oder aber verärgert darüber, sich von wichtigen Informationen ausgeschlossen zu fühlen. Ältere Kinder sind auch dadurch belastet, dass sie oft eine aktive Rolle in der Betreuung der Mutter übernehmen (müssen). Manche werden unbeabsichtigt überfordert, ziehen sich zurück und/oder verweigern die weitere Mithilfe.

Orientierungshilfen für Eltern

Ein wichtiges Ergebnis der Familienforschung ist, dass Kinder, die über die Krankheit informiert wurden, weniger Angst und ein geringeres Maß an auffälligem Verhalten zeigen als unaufgeklärte Kinder. Die folgende Übersicht gibt Ihnen Hinweise für den Umgang mit Ihren Kindern:

  • Informieren Sie Ihr(e) Kind(er) altersgerecht über die Erkrankung, aber in „verdaulichen“ Portionen, das heißt in nicht zu langen Gesprächen.
  • Geben Sie Ihrem Kind Aufmerksamkeit, und zeigen Sie Ihre Zuneigung.
  • Vermitteln Sie dem Kind Hoffnung, und sprechen Sie mögliche Schuldgefühle an.
  • Erlauben Sie sich und Ihren Kindern, auch Traurigkeit und Gereiztheit zu zeigen.
  • Lassen Sie Ihr(e) Kind(er) keine „Erwachsenenposition“ einnehmen, aber lassen Sie es/sie trotzdem hilfreich sein.
  • Ermutigen Sie Ihr(e) Kind(er), außerhalb der Familie den gewohnten Freizeitaktivitäten nachzugehen.

Auswirkungen auf den Partner von Brustkrebspatientinnen

Es wird oft übersehen, dass die Partner durch die Diagnosestellung meist genauso belastet sind wie die Patientin selbst. Für Männer ist es meist bedrohlicher, mit dem möglichen Tod der Frau konfrontiert zu sein, als umgekehrt. Gleichzeitig existieren so gut wie keine Hilfsangebote für die Ehemänner. Für Männer ist es auch nicht üblich, sich mit anderen Männern über ihre Ängste auszutauschen. Aus diesem Grunde bieten wir an unserer Klinik den Frauen an, bei Bedarf auch ihre Männer zum psychoonkologischen Gespräch mitzubringen. Es besteht zudem die Möglichkeit, dass Angehörige allein zu einem Gespräch kommen, sofern die Patientin nichts dagegen einzuwenden hat.

Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Sterben

Eine Krebsdiagnose konfrontiert alle Beteiligten mit zahlreichen Ängsten und vor allem mit der Angst vor dem Sterben. Über Tod und Sterben zu sprechen, ist für viele gleichbedeutend damit, die Hoffnung auf ein Überleben aufzugeben. Unserer Erfahrung nach ist jedoch gerade die Tabuisierung dieses Themas sehr lähmend und kann den Zugang zur eigenen (Über-)Lebenskraft verstellen. Ein mögliches Sterben konsequent zu Ende zu denken, mobilisiert häufig den Überlebenswillen und den Wunsch, diesem Schicksal vielleicht doch trotzen zu können. Sich mit einem möglichen negativen Ausgang der Behandlung auseinanderzusetzen, bedeutet auch, sich und seinen Angehörigen einen guten Abschied zu ermöglichen.

Auswirkungen auf das berufliche und soziale Umfeld

Zum Schluss möchten wir noch auf mögliche Reaktionen Ihres beruflichen und sozialen Umfeldes eingehen. Viele Patientinnen sind manchmal überrascht und gerührt über die vielen einfühlsamen Reaktionen und die verschiedenen Formen der Zuneigung, die sie in ihrer Umgebung erleben. Manchmal sind sie jedoch auch sehr enttäuscht, wie sich Freunde und Bekannte nach Bekanntgabe der Diagnose zurückziehen. Vielleicht können Sie versuchen, solche Reaktionen nicht zu persönlich zu nehmen. Sehen Sie sie eher als Ausdruck von Ängsten und Befürchtungen derjenigen, die mit Ihrer Erkrankung nicht umgehen können. Konzentrieren Sie sich mehr auf diejenigen Menschen, die sich hilfreich und liebevoll zeigen, als auf diejenigen, denen es an menschlicher Reife fehlt.

Autoren:
Dr. med. Heike Stammer
Dr. med. Alexander Marmé